Der Aufstand der SpielerinnenFünf Monate vor der WM lehnen sich Fußballerinnen in mehreren Ländern gegen ihre Verbände auf. Sie haben zwei Gegner: Unprofessionalität und Sexismus.Knapp zwei Wochen hat es gedauert, bis die französischen Nationalspielerinnen bekommen haben, was sie zwar nicht explizit, aber dennoch unmissverständlich forderten. Am Donnerstag stellte der französische Verband (FFF) Nationaltrainerin Corinne Diacre frei. Die sieht sich als Opfer einer "entwürdigenden" Medienkampagne, tatsächlich ist ihre Entlassung aber das Ergebnis einer erfolgreichen Revolte ihrer Spielerinnen. Ende Februar hatte Frankreichs Abwehrchefin Wendie Renard verkündet, diesen Sommer für die Weltmeisterschaft nicht zur Verfügung zu stehen. Sie könne "das derzeitige System nicht länger unterstützen, das weit von den Anforderungen entfernt ist, die auf höchstem Niveau verlangt werden". Der Schritt sei notwendig für ihre geistige Gesundheit. Zwei weitere Nationalspielerinnen schlossen sich Renard an und wollen erst wieder in den Kader zurückkehren, wenn "notwendige Änderungen" vorgenommen wurden. Ins Detail gingen die Spielerinnen in ihren Statements nicht.
Eine der Änderungen, so die weitverbreitete Deutung, wünschten sich die Spielerinnen jedoch auf der Trainerbank. Corinne Diacre gilt als streng und wenig kommunikativ. Die Stimmung im Team sei nie wirklich gut gewesen. "Einen Titel mit dieser Trainerin zu gewinnen, ist unmöglich", sagte die ehemalige Nationaltorhüterin Sarah Bouhaddi vor drei Jahren. Trainingseinheiten sollen nicht intensiv genug gewesen sein und wenig taktische Komponenten beinhaltet haben. Laut The Athletic hat Renards Rücktritt allerdings nicht nur mit der Trainerin zu tun. Es geht um tiefgreifendere Probleme bei Organisation und Management der Nationalmannschaft. Kadidiatou Diani von Paris Saint-Germain, die sich mit Renard ebenfalls aus dem Nationalteam zurückzog, bestätigte in der TV-Sendung Téléfoot, dass es im französischen Team an Professionalität mangele. Es gebe keinen Co-Trainer und generell nicht "die notwendigen Mittel, um den Pokal zu holen".
Weniger als fünf Monate vor der WM in Neuseeland und Australien zeigt der Fall einmal mehr die Probleme im Frauenfußball. Nationale Fußballverbände bezahlen ihre Spielerinnen nicht nur schlechter als die Männer, ihr gesamter Alltag in den Nationalmannschaften ist meist weniger professionell, von den Plätzen, auf denen sie trainieren, bis zu den Hotels, in denen sie übernachten. Fußballerinnen haben mittlerweile erkannt, dass sie sich das nicht länger gefallen lassen müssen. Sie machen Missstände öffentlich, protestieren – und sorgen damit für Veränderungen. Im Februar veröffentlichte die Canadian Soccer Player Association (CSPA) ein Statement, in dem die Spielerinnen den kanadischen Verband für "erhebliche Kürzungen" des Budgets kritisierten. Der Verband Canada Soccer habe den Spielerinnen mitgeteilt, diese – anders als 2022 das Männerteam – in der Turniervorbereitung nicht angemessen unterstützen zu können. Die Einsparungen führten dazu, dass Trainingslager im Vorfeld der WM gekürzt werden mussten und weniger Spielerinnen und Mitarbeitende teilnehmen durften. Berichten zufolge wurde die Zahl der Spielerinnen für ein Trainingslager Anfang Februar auf 20 reduziert, zu wenig für ein Trainingsspiel elf gegen elf. "Dies ist eine inakzeptable Belastung für unsere Spielerinnen, vor allem in der für unser Land so wichtigen Phase", hieß es in dem Statement.
Die Spielerinnen seien "müde davon, ständig für faire und gleiche Behandlung zu kämpfen". Die Kanadierinnen waren vom Verhalten ihres Verbands derart frustriert, dass sie im Februar nicht zu einer Trainingseinheit erschienen. Manche Spielerinnen waren fest entschlossen, auch die Teilnahme am prestigeträchtigen "SheBelieves Cup" zu verweigern. Canada Soccer drohte ihnen daraufhin mit rechtlichen Schritten. "Wir werden gezwungen, kurzfristig wieder zu arbeiten", stellte Christine Sinclair, die schon über 300-mal für Kanada auflief, bei Twitter klar. Das Turnier spielte die Mannschaft ausdrücklich unter Protest. Beim Turnierauftakt trugen die Kanadierinnen während der Nationalhymne T-Shirts mit der Aufschrift: "Genug ist genug." Anfang März, wenige Tage nachdem Canada-Soccer-Präsident Nick Bontis zurückgetreten war, einigten sich Verband und Spielerinnen vorläufig. Die Fußballerinnen betonten allerdings, die "tieferen Probleme" damit nicht gelöst zu haben. Über einen neuen Tarifvertrag für beide Nationalmannschaften wird weiterhin verhandelt.
Der Streik der Kanadierinnen währte nur kurz. Dass Fußballerinnen grundsätzlich aber nicht vor drastischen Maßnahmen zurückschrecken, dürfte den Verbänden inzwischen klar sein. Das Chaos im französischen Verband (zu dem auch staatsanwaltliche Ermittlungen gegen den jüngst zurückgetretenen Verbandspräsidenten Noël Le Graët gehören) erinnert an den koordinierten Rücktritt mehrerer spanischer Nationalspielerinnen im September 2022. 15 Spielerinnen teilten dem Verband zeitgleich per E-Mail mit, Einladungen zur Nationalmannschaft nicht mehr anzunehmen. Die Spielerinnen sollen mit Trainingsmethoden und Managementstil von Nationalcoach Jorge Vilda unzufrieden sein. Der spanische Verband zeigte dafür wenig Verständnis und teilte mit, notfalls mit Jugendspielerinnen aufzulaufen. Über die Zukunft des Trainers zu entscheiden, falle nicht in den Zuständigkeitsbereich der Spielerinnen. Gehörig unter Druck setzen können diese den Trainer natürlich trotzdem. Bei der WM 2015 wurden die Spanierinnen Gruppenletzte und schrieben noch vor dem Rückflug einen offenen Brief, in dem sie den Rücktritt von Trainer Ignacio Quereda forderten. Als Grund nannten die Spielerinnen unter anderem die "mangelhafte" Turniervorbereitung. Später wurden Quereda auch Kontrollzwang und Sexismus vorgeworfen. Nach 27 Jahren im Amt musste er zurücktreten.
Auch die Fußballverbände in Dänemark und Norwegen haben schon erfahren, wie ernst es die Spielerinnen mit ihrer Forderung nach Gleichbehandlung meinen. Nach monatelangen Verhandlungen mit dem Verband weigerten sich die Däninnen 2017, bei einem WM-Qualifikationsspiel anzutreten. Norwegen dagegen musste jahrelang auf die Weltfußballerin Ada Hegerberg verzichten. "Es gibt so viel zu tun, damit Frauen und junge Mädchen die Bedingungen bekommen, die sie verdienen", sagte sie dem Guardian. Zur EM 2022 kehrte sie nach fünf Jahren Pause ins Nationalteam zurück. Streiks von Fußballerinnen sind nicht nur ein europäisches Phänomen. In Argentinien bekam die Frauen-Nationalmannschaft zwischenzeitlich kein Geld mehr vom Verband und musste vor sechs Jahren neu aufgebaut werden. Der Verband unterstützte das kaum, die Bedingungen waren grotesk. Spielerinnen schliefen manchmal im Bus, weil sie keine Unterkunft bekamen. Nach einem Spielerinnenstreik verbesserte der Verband die Konditionen. 2019 qualifizierten sich die Argentinierinnen für die WM, auch in Neuseeland und Australien sind sie in diesem Jahr dabei.
Vorreiterinnen im Kampf um Gleichberechtigung sind die US-Nationalspielerinnen. Sie streikten zwar nicht, verliehen ihren Forderungen aber Nachdruck, indem sie den US-Fußballverband wegen Diskriminierung verklagten. Nach jahrelangem Streit einigten sich Spielerinnen und Verband schließlich im vergangenen Jahr. Der neue Vertrag garantiert den Spielerinnen und Spielern die gleiche Bezahlung, auch bezüglich der Boni bei Turnieren. Die US-Fußballerinnen haben damit ihre Ziele erreicht und unterstützen nun andere. Megan Rapinoe, inoffizielle Gleichstellungsbeauftragte des Frauenfußballs, sagte zur Situation der Kanadierinnen: "Hier geht es nur um grundlegende Menschenrechte und Respekt und darum, dass sie bekommen, was sie verdienen." Laut der New York Times gaben Rapinoe und die US-Stürmerin Alex Morgan den Kanadierinnen Tipps, wie sie ihre Forderungen durchgesetzt kriegen. Entscheidend sei, sagten die Amerikanerinnen, die Öffentlichkeit und Sponsoren hinter sich zu bringen, um so Druck auf die Verbände auszuüben.
Öffentliche Unterstützung für ihr Anliegen zu bekommen, bereitet Fußballerinnen in der Regel keine Probleme mehr. Anders als bei so manchen Verhandlungen im Männerfußball geht es den Fußballerinnen nicht um Privatjets und zusätzliche Millionen, sondern darum, ein Umfeld zu schaffen, das Fußballspielen auf höchstem Niveau ermöglicht. Hinzu kommt, dass sich die Verhandlungsposition der Spielerinnen in den vergangenen Jahren stark verbessert hat. Die Popularität von Frauenfußball steigt, besonders bei internationalen Turnieren. Laut der Marktforschungsfirma Nielsen investieren Unternehmen mehr in den Frauenfußball als früher. Generell wird Frauensport ein immer attraktiverer Markt für Sponsoren.
In Deutschland ist Equal Pay eher eine Forderung, mit der sich Politikerinnen wie Nancy Faeser oder Olaf Scholz profilieren, und weniger etwas, das die Nationalspielerinnen akut beschäftigt. Laut dem ehemaligen DFB-Manager Oliver Bierhoff ist die Angleichung der Prämien in Verhandlungen kein Thema gewesen. Den DFB-Spielerinnen geht es eher darum, die Rahmenbedingungen anzugleichen und ein professionelles Umfeld zu schaffen. "In den letzten Jahren ist viel passiert. Wir sind gut versorgt. Keiner kann sich beschweren und mehr fordern", sagte die Nationalspielerin Lena Lattwein der Deutschen Welle. Sollte sich diese Haltung der deutschen Fußballerinnen in Zukunft ändern, werden sie wissen, wie sie den DFB unter Druck setzen können. Und wenn nicht, kann ihnen Megan Rapinoe sicherlich ein paar Tipps geben.
Quelle --->
https://www.zeit.de/sport/2023-03/fussb ... ettansicht
So I guess this is where I tell you what I learned - my conclusion, right? Well, my conclusion is: Hate is baggage. Life's too short to be pissed off all the time. It's just not worth it. (Danny Vinyard)