Starker Tobak ...
Die Formel VorgesternWenn die Formel 1 Sonntag Halt am Hockenheimring macht, wiederholt sich ein reaktionärer, sexistischer, klimafeindlicher Kampf debilster Art. Abschaffen, bitte. Sofort.What’s entertainment? Wer mit welcher Art Unterhaltung wie viele Zuschauer erreicht, kann von Epoche zu Epoche ganz schön variieren. In der Antike zum Beispiel waren Gladiatorenkämpfe Megaevents in kolossalen Arenen. Im Mittelalter sorgten Exekutionen für Völkerwanderungen zum Richtplatz. Die Neuzeit schließlich machte den Sport massentauglich, was darin gipfelte, dass selbst dann Millionen Amerikaner zum Wettstreit pilgern, wenn der Sieger wie beim Wrestling vorher feststeht. That’s entertainment! Stellen wir uns also mal vor, Gladiatoren und Guillotinieren oder auch nur das dummdreiste Showcatchen steroidgestählter Muskelprotze wären auch hierzulande Publikumsmagneten: würde die Tagesschau davon berichten? Also nicht im Tonfall intellektueller Empörung, sondern als allgemein anerkannte, nüchtern distanzierte, kritiklos verlesene Nachricht? Wohl kaum! Oder doch? Womöglich schon. Denn das Äquivalent zum testosterongesättigten Amüsement meist männlicher Massen wird auch am Sonntag gegen 20.13 Uhr die wichtigste deutsche Informationssendung bestücken. Kurz nach der Weltpolitik, aber vorm Wetter kommt nämlich die Formel 1. Merkwürdig.
Seit 1950 gibt es die FIA Formula One World Championship, wie das älteste fortlaufenden Autorennen offiziell heißt. Aber nichts daran ist nachhaltig, weil alles daran von gestern ist. Die Formel 1 stammt ja aus einer Ära, als Männer nur dann Männer waren, wenn sie ihre Lieben zwar mitunter vermöbeln, aber auch behüten, umsorgen, ernähren. Bis tief in die Achtziger hinein war diese Raserei zwar vom Radar der aufgeklärten Mehrheitsgesellschaft verschwunden; doch als ein rasender Rotzlöffel aus Kerpen 1992 sein erstes von 91 Rennen gewann, machte er die dümmste aller Sportarten, bei der erwachsene Männer wie Babys im Bobbycar Runde um Runde um Runde ziehen, auch hierzulande patriotismustauglich genug, um das grüne Gewinsel vom Klimawandel in einem teerschwarzen Cocktail aus Testosteron, Benzin und Bier zu ersaufen. Kein Wunder, dass mit RTL damals der dümmste aller Kanäle auf Schumis Schlachtross sprang. Wundersamer ist es hingegen, dass bis heute selbst seriöse Medien von der ARD bis zur Süddeutschen Zeitung mitreiten, anstatt zu fordern, die denkbar größte Sauerei der gesamten Freizeitgeschichte endlich zu verbieten. Und zwar sofort. Wenn die Jugend der Welt nämlich jeden Freitag für die Zukunft demonstriert, wenn Frauen aller Herren Länder gegen die Allmacht eben jener aufbegehren, wenn die Vernunftbegabten weltweit auf Tempo, Wachstum, Überfluss verzichten – dann wirkt ein intelligenzverachtender, ressourcenverschleudernder, zutiefst sexistischer Machismo à la F1 so fortschrittlich wie Donald Trumps Tweets oder die Stadion-Henker seiner arabischen Kumpels. Dass der Zirkus zusehends auch bei denen gastiert, passt da ins Bild. Seit drei Jahren im Besitz des Unterhaltungskonzerns Liberty Media, fährt Bernie Ecclestones Spielzeug schließlich noch bedenkenloser durch Diktaturen von China bis Aserbaidschan, hofiert Potentaten von Abu Dhabi bis Bahrain, perfektioniert dort den entfesselten Raubtierkapitalismus reaktionärer Prägung. Und das mit einer männlichen Selbstüberschätzung, die Frauen bloß als Accessoires mit wenig zu sagen, aber viel im BH duldet.
Aber Motorsport, werfen Fans der fossilen Orgie da gern beleidigt ein, diene doch als Straßenverkehrslabor. Stoßdämpfer, Bremssysteme, Knautschzonen: alles grandprix-erprobt! Doch davon abgesehen, dass kaum ein Autokonzern für seine Serienproduktion auf einzelgefertigte Extremsportmodelle wartet, besteht die Vorbildfunktion der Formel 1 darin, aus jeder Straße Testpisten männlicher Potenz zu machen – und zwar nicht nur auf Autobahnen. Geistig schlichte Mannsbilder wie jene, die geliehene Boliden ungeachtet roter Ampeln und Tempolimits durch belebte Innenstädte jagen, sind ja nichts anderes als Sebastian Vettels in arm, der geliehene Boliden ungeachtet von Erderwärmung und Plastikmeeren über Parcours hetzt – nur, dass der dafür Reichtum, Ruhm, Respekt erntet, statt Schulden, Knast, Verachtung wie seine Karikaturen. Auf dem Hockenheimring jedenfalls wird den Schmalspur-Laudas dieses Wochenende mal wieder der Bleifuß um des Bleifußes Willen vorgelebt. Und da war vom apokalyptischen Umweltfrevel dieser jämmerlichen Schwanzparade noch gar nicht die Rede. Bei jedem der 21 Rennen pro Saison verbraucht jedes Team nach Berechnungen des Focus 1.600 Liter Benzin – das Zehnfache eines durchschnittlichen Pkw pro Jahr. Hinzu kommen vom ersten Training bis zum Austrudeln im Ziel mindestens 70 Reifen, durchschnittlich ein zerschlissener Motor und die komplette Lackierung – von Transport und Versorgung eines riesigen Trosses durch alle Welt ganz zu schweigen. Bis auf den Spritverbrauch dürfte daran übrigens auch das elektrisch angetriebene, aber wenig maskuline, weil geräuschlose Surrogat Formel E nichts ändern.
Nun könnte man natürlich sagen, dafür würde den Freunden dieses ökologischen Massakers spannender Wettkampfsport geboten. Praktisch. Theoretisch jedoch hat Mercedes von den bislang zehn Rennen der Saison neun gewonnen, davon sieben doppelt, wobei allein Lewis Hamilton nur elf Punkte weniger erzielt hat als die 15 Letztplatzierten im Klassement zusammen. Echte Spannung mit mehr als vier Siegern aus mehr als drei Teams? Gab‘s zuletzt 2012. Warum also schenken selbst Vernunftbegabte dieser sturzlangweiligen, zutiefst irrationalen, menschheitsfeindlichen Materialschlacht so viel Aufmerksamkeit? Die Antwort von Kai Gniffke und Axel Balkausky ist ihrerseits leicht raubtierkapitalistisch: Weil sie im Motorsport nun mal "die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer interessiert", schreiben die Verantwortlichen für Information und Sport im Ersten per Mail. Masse schlägt Klasse, Quote das Gewissen. Ob die ARD bei ähnlich großer Resonanz, sagen wir: Hinrichtungen zeigen würde? Auf dieses (zugegeben provokante) Nachhaken gab es leider keine Antwort. Vermutlich, weil es als zynisch empfunden wird. Zynischer offenbar, als die reaktionärste Menschheitsverachtung auf Rädern seit Erfindung des Panzers.
Quelle: zeit.de