Ich kopiere es hier mal direkt rein, ein wirklich gutes Interview:
Leipzig.
Geduldig nahm Almedin Civa am Sonntag die Glückwünsche und Schulterklopfer entgegen. Nach dem souveränen Sieg im letzten Saisonspiel gegen Luckenwalde stand der Lok-Trainer der auf dem Fanfest Rede und Antwort. Heraus kam eine nüchterne Bilanz des Vergangenen, eine ehrliche Einschätzung der Gegenwart und ein hoffnungsfroher Ausblick auf die Zukunft.
Zufrieden mit Entwicklung
Das Funkeln in den Augen des Trainers und Sportdirektors war unübersehbar, auch wenn eine „Höllensaison“ hinter den Blau-Gelben liegt, in der man sich lange Zeit als erster Verfolger des Meisters BFC profilieren konnte. Civa zieht ein positives Fazit: “Es war eine überragende Saison, unglaublich, wie viele Mannschaften die 70-Punkte-Barriere durchbrechen konnten. Das zeigt, welch unfassbare Qualität in dieser Liga herrscht. Uns hatte im Vorfeld kaum einer auf der Rechnung, ich bin so stolz, wie sich die Jungs trotz Rückschlägen entwickelt haben.“ Damit meint Civa vor allem die unberechenbaren Umstände, welche die Pandemie dem Fußball aufgebürdet hat: “Die erste Corona-Phase war sehr schwer, nie wussten wir, wie viele Leute im Training sein können. Auch die Gegner hatten sehr zu kämpfen, insgesamt haben wir diese Zeit aber souverän gemeistert.“
Die blau-gelben Ambitionen nach oben wurden laut Civa in der Rückrunde durch die brutale Verknappung des Spielplans und die mangelnde Erfahrung seiner Truppe gebremst: „Insgesamt ging es gut los, aber wir haben gegen Altglienicke, Chemnitz und Cottbus zu leicht Punkte liegen lassen und uns für gute Leistungen nicht belohnt. Defensive Fehler und Ermüdungserscheinungen forderten zu oft Tribut.“ Wie äußere Umstände eine lange Saison nachhaltig beeinflussen, weiß der Trainer treffend zu beurteilen: “Für einen Aufstieg muss alles passen, das kann man nicht planen, eine Saison entwickelt ihre eigene Dynamik. Ich habe selbst mehrfach in Aufstiegsrunden spielen dürfen, bin je zweimal in die zweite und dritte Liga aufgestiegen. Dazu braucht man vor allem auch eine Menge Erfahrung.“
Eben jene Erfahrung ist es, die dem aktuellen Kader bis dato punktuell abgeht, doch daran stört sich Civa keinesfalls. „Wahnsinn, wie sich die jungen Spieler dieses Jahr entwickelt haben. Das zeigt sich daran, dass man den ein oder anderen dann nicht mehr halten kann. Aber wir sind auf dem richtigen Weg, ich muss als Sportdirektor langfristig denken.“ Das bedeutet in Civas Philosophie, keine finanziellen Risiken einzugehen. Monetäre Wunderdinge sind auch im kommenden Spieljahr nicht zu erwarten, Kreativität auf dem Spielermarkt ist gefragt: “Ich bin kein Karrierist, werde auch nie einer werden. Darum stelle ich mich auch nicht hin und fordere irgendwelche utopischen Etats beim Präsidium ein. Wir müssen geduldig bleiben und den Umbruch der Mannschaft mit Bedacht angehen.“
„Haben 13 Spieler halten können“
Die finanziellen Schnellschüsse der Konkurrenz sieht Civa mit Sorge, findet darin aber Bestätigung seines Weges: “Manche Teams wollen auf Teufel komm raus nach oben und machen Schulden. Wenn du dich dann aber nicht etablieren kannst, kann es ganz schnell vorbei sein. Meines Erachtens musst du dich schrittweise entwickeln, so mancher Aufstieg kam zu früh und wurde bitter bezahlt.“ Junges Blut statt erfahrener Haudegen lautet die Devise: “Wichtig ist, dass Spieler, die hier herkommen, diesen Weg zu 100 Prozent mitgehen. Im nächsten Jahr werden wieder einige sehr junge Leute hier aufkreuzen, da werden erneut einige im Vorfeld die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und alles in Frage stellen. Aber schaut euch doch an, wie heute über beispielsweise Luca Sirch und Eric Voufack geredet wird, die will jeder haben.“
Die viel zitierten Mechanismen des Geschäfts gelten auch in Probstheida und sehen vor, dass alljährlich schmerzliche Abgänge verzeichnet werden müssen. Am Sonntag wurden sieben Akteure (Berger, Sirch, Sievers, Nattermann, Lucenka, Schlicht, Mehmedovic) verabschiedet. Einige Personalentscheidungen stehen noch an, Civa bleibt aber gelassen: „Wir haben 13 Spieler halten können, das muss auch betont werden. Natürlich passiert jetzt noch ein bisschen was, die Dinge können ganz schnell gehen. Mein Ziel ist es, zum Start der Vorbereitung am 20. Juni 17 oder 18 Spieler auf dem Platz zu haben.“
Alles reif für Liga drei?
Der Sportdirektor kann sich die stoische Ruhe leisten, weiß er doch um die Anziehungkraft der Loksche: “Wir sind ein Bomben-Klub mit toller Tradition. Lok muss und will immer gewinnen. Das sind alles schlagkräftige Argumente. Und wenn ich hier aus dem Fenster schaue und die ganzen Baustellen auf dem Vereinsgelände sehe, dann weiß ich, wir sind auf einem guten Weg.“ Nicht lange überzeugt werden musste der Torwarttrainer und dritte Torhüter Dennis Dickmann. Sein Arbeitspapier wurde am Dienstag um ein weiteres Jahr verlängert.
Tradition verpflichtet aber auch, ein Umstand, der für Civa eher Ansporn als Bürde ist. Die leidenschaftlichen Fans bilden einen fruchtbaren Boden für das Gedeihen der sportlichen Entwicklung: „Wenn ich sehe, dass am letzten Spieltag, wo es eigentlich um nichts mehr geht, fast 3000 Leute kommen, dann erfüllt mich das mit Stolz und Dankbarkeit. Die Leute sehen, dass wir alles geben und unterstützen uns massiv. Natürlich dürfen die Fans auch Träume haben - sollen sie sogar. Das überträgt sich auf die Mannschaft und den Verein als Ganzes, kann uns noch ganz weit pushen. Ohne die Fans, ohne diese Aura um den Verein bist du nicht der 1. FC Lok.“
Die Fans, die Stadt und die Infrastruktur des Vereines seien reif für die 3. Liga. Ob es die Mannschaft mittel- bis langfristig auch sein wird, muss sich am Ende des behutsamen Aufbaus unter Almedin Civa zeigen. Bis dahin muss ein weiteres Jahr in einer „noch stärkeren Regionalliga“ gekrabbelt werden, bevor man irgendwann laufen kann.
Von Georg Meyer