Noch ein Text zur neuen Handspielregel ...
Immer auf die 12Die neue Handspielregel macht den Strafraum endgültig zum Tollhaus.Die gute Nachricht für Traditionalisten und jene Freunde des Fußballs, die es noch schätzen, wenn man die Regeln versteht: Die gute alte Absicht spielt in der Frage des Handspiels künftig doch wieder eine Rolle. Allerdings, und das ist die schlechte Nachricht: auf der falschen Seite. Wer nämlich jetzt absichtlich einem Abwehrspieler in dessen Strafraum die Spielkugel gegen den Arm ballert, wird mit Elfmeter belohnt und im günstigsten Fall mit der Trophäe der Champions League. Ob in deren Endspiel am vergangenen Samstag nun Liverpools Stürmer Sadio Mané wirklich "vorsätzlich", wie der Independent spekuliert, oder "ganz bewusst und clever", wie der kicker schreibt, an den ausgestreckten Arm des Tottenham-Spielers Moussa Sissoko zielte, kann nur stark vermutet werden. Klar ist, dass der Erfolg der Aktion weltweit zum Nacheifern animieren wird, schließlich hat nach 23 Spielsekunden der Handelfmeter-Pfiff ein großes Finale entschieden – für ein Vergehen, das früher niemals als ein solches geahndet worden wäre. Keine Absicht, hätte es geheißen, weil Sissoko, als er den Ball berührte, mit dem gestreckten Arm offensichtlich gerade den Mitspielern einen taktischen Hinweis gab.
Nun ist passiert, was vor Wochen noch wie eine irre Fußball-Dystopie klang. Da unkte der Bayern-Trainer Niko Kovač, für Angreifer sei es doch bald lohnender, mit einer Flanke den Arm eines Gegners zu treffen als den Kopf eines Teamkameraden. Und sein damaliger Leipziger Kollege Ralf Rangnick raunte, auf manchen Trainingsplätzen werde wohl schon geübt, wie man dem Gegner den Ball im Strafraum elegant an den Arm chippt. Etwa in Liverpool? Jedenfalls ist der Punkt erreicht, an dem sich das Spielergebnis vom Verlauf der Partie und von den Leistungen der Mannschaften abkoppelt. Die Teams kicken ein bisschen, und über den Sieg entscheidet ein Wettbewerb im Wettbewerb – das fröhliche Handelfmeter-Schinden durch An-den-Arm-Chippen. Eine moderne Form des Büchsenwerfens.
Dabei unterlag das Madrider Finale sogar noch der alten Regel. In dieser stand als Oberbegriff für die Strafbarkeit eines jeden Handspiels das Wort "absichtlich". Vor wenigen Jahren erteilten ahnungslose Funktionäre den Schiedsrichtern dann diese unseligen Handlungsanweisungen, die als Interpretationshilfen gedacht waren. Diese Gesetzesauslegung hat alles verkompliziert, die inflationären Handelfmeter-Entscheide wurden zur Plage des Fußballs. Eine "Vergrößerung der Körperfläche" durch die Arme galt fortan als Indiz für die Absicht, was den Trainer Julian Nagelsmann zu dem Einwurf verleitete, dann sei die Anatomie des Menschen schon strafbar. Denn die Arme hingen ja, den Körper schlechterdings vergrößernd, seitlich an demselben. Auch eine "unnatürliche Haltung" galt als Merkmal für Strafbarkeit: "Je weiter der Arm vom Körper weg ist, umso mehr ist es Hand", präzisierte ein deutscher Schiedsrichter – in offenkundiger Unkenntnis der Bewegungsabläufe beim Fußball. Beim Tackling, zur Wahrung der Balance, zum Schwungholen beim Sprung – immer wird der Arm vom Körper gespreizt. Oder auch dann, wenn man wie Sissoko dem Mitspieler etwas zeigt. Bald tritt der Unfug als Gesetz in Kraft. Nach der neuen Regel 12 ist die Ballberührung mit dem Arm schon verboten, wenn sich die Hand des Spielers über Schulterhöhe befindet. Die Frage der Absicht spielt dann keine Rolle.
Die Verteidiger sind die Dummen – im Prinzip. Sie können sich die neue Regel aber auch zunutze machen. Denn ein Tor, das mit dem Arm erzielt wird – und sei es aus Versehen –, ist künftig nicht mehr gültig. Auch wenn der Schütze dadurch in Ballbesitz gelangt ist, dass ihm das Spielgerät an die Hand sprang, zählt sein Tor nicht. Also könnten, um eine Torgefahr zu bannen, nun auch die Abwehrspieler auf die Idee kommen, den Ball – statt ihn zur Ecke zu schlagen oder riskant zum Torwart zu spielen – dem Gegner an die Hand zu schießen. Einen regelkonformen Treffer kann der dann – Regel 12 – nicht mehr erzielen. Trick 17.
Quelle: zeit.de