https://www.lvz.de/sport/regional/bsg-c ... NHBP4.htmlEr spielte für Chemie, wurde bei Lok zur Legende: Am Derby-Tag wird Rainer Lisiewicz 75 Jahre alt und erzählt prächtige Anekdoten über ein Familienduell und den herzhaften Gründen seines Wechsels nach Probstheida.Johannes David
05.10.2024, 07:00 Uhr
Leipzig. Manchmal treibt der Fußballgott seltsame Spielchen mit seinen Schäfchen. Wie könnte er sonst das Ortsderby Lok kontra Chemie Leipzig ausgerechnet auf dem 6. Oktober platzieren? An jenem Tag begeht Lok-Legende Rainer Lisiewicz seinen 75. Geburtstag. Der einstige Stürmer ist ob der Terminüberschneidung einigermaßen genervt, weil er unter diesen Umständen die Derby-Angelegenheit nicht hautnah erleben kann. Dafür kramt der Mann, der nur auf dem Papier ein Rentner ist, tief in der Anekdoten-Schatulle: Erzählungen über ein Familienduell, einen Wechsel von Chemie zu Lok, der durch den Magen ging und Flutlicht-Vorteile gegen den Klassenfeind.
Doch zunächst beschäftigen Rainer Lisiewicz die aktuellen Verwicklungen an seinem Ehrentag. „Ich hab einen Haufen Leute eingeladen, da kann ich schlecht zum Derby abhauen. Aber ich werde ab und an mal aufs Handy gucken.“ Ein Kniff, der zu seinen aktiven Zeiten nicht möglich war. Das wiederum hatte hauptsächlich damit zu tun, dass das Mobiltelefon noch nicht erfunden war. Und selbst Festnetztelefone waren in der DDR sehr übersichtlich verteilt. Wie ohnehin recht viele Dinge zu jener Zeit einen etwas anderen Gang gingen. So wurde Rainer Lisiewicz als 16-Jähriger 1966 von Empor Oschatz zunächst zur Jugend von Chemie delegiert, wo schon sein gut sechs Jahre älterer Onkel Klaus spielte.
Wechsel-Zusage für kostenloses Abendessen
Der Wechsel zum großen Rivalen folgte zwei Jahre später und wurde Rainer Lisiewicz besonders schmackhaft gemacht. „Bei Lok haben sie mir einen Gutschein für eine Gaststätte angeboten, in der ich jeden Tag kostenlos Abendbrot essen konnte. Da habe ich natürlich zugesagt.“ Und so kam es 1972 tatsächlich zum Familien-Duell zwischen blau-gelbem Neffen und grün-weißem Onkel. Sportlich fiel das aber kaum auf. „Wir haben uns vorher ausgemacht, dass wir uns nicht begegnen und so ist es auch gekommen. Wir haben nicht einen Zweikampf geführt“, erzählt Rainer Lisiewicz. Die Begleiterscheinungen des Derbys klingen dafür weniger entspannt: „Es war brandgefährlich, es gab viele unschöne Szenen, Kämpfe der Anhänger. Aber als Spieler hast du das nicht direkt mitbekommen, sondern nur hinterher gehört.“
Und auf dem Rasen? „Die Chemiker steigen eher ab, als gegen Lok zu verlieren. Sie sind mit Kraft und Begeisterung dazwischen gegangen, während wir eher seriös Fußball gespielt haben.“ Diese „Seriosität“ mündete darin, dass Lok in den 1970er Jahren ziemlich erfolgreich war, Pokalsieger wurde und im Halbfinale des UEFA-Cups anlandete. Mit einem speziellen Erfolgsgeheimnis. „Das Flutlicht war damals wesentlich dunkler. Für uns genau ausreichend, um den Klassenfeind entscheidend zu besiegen“, erzählt „Lise“. Bis zum Halbfinal-Hinspiel 1974 ging das gut. Für die Partie gegen Tottenham wurde der Anstoß dann auf 16 Uhr festgelegt. Eine folgenreiche Entscheidung.
In Böhlen mehr verdient als bei Lok
„Da waren wir irgendwie von Anfang an nicht richtig da, obwohl wir das Ding im Rückspiel noch fast gedreht hätten.“ Auch die Karriere von Lisiewicz drehte sich noch einmal. Nach zehn Jahren bei Lok verschlug es ihn wieder zu Chemie - allerdings nach Böhlen. Das hatte durchaus Vorteile. „Dort habe ich mehr verdient als bei Lok.“ Allerdings Ostmark. „In Markkleeberg gab‘s sogar Westgeld.“ Derartige Probleme haben sich heute erledigt. Umtriebig ist Lisiewicz trotzdem geblieben.
Der Diplom-Sportlehrer unterrichtet noch immer an zwei Leipziger Grundschulen Sport. „Ansonsten bin ich fast hauptberuflich Präsident beim SV Naunhof. Naja, einmal Fußball, immer Fußball“, sagt Rainer Lisiewicz. Bleibt denn angesichts dieses überaus vollen Zeitplans Zeit für Wünsche zum eigenen Jubiläum? „Am liebsten nochmal 75 Jahre droff. Aber das wird wohl nichts werden, deswegen hoffe ich, dass ich fit bleibe, bis ich in die Grube muss.“ Der Fußballgott wird schon dafür sorgen.
LVZ
Peter Gießner, Freund und Held des Leipziger Fußballs.
Geliebt und verehrt, von Probstheida bis Leutzsch,
und über die Grenzen der Stadt hinaus.