Wie ich glaube, den Fußball zu rettenDie Reichen werden immer reicher. Wie den Menschen geht es auch den Fußballclubs. Wie spannend ist der Sport noch, wenn immer dieselben gewinnen? Wir haben da eine Idee.Seit Kurzem habe ich wieder eine Dauerkarte. Alle zwei Wochen fahre ich in die Stadt, in der ich geboren wurde. Cottbus, Dritte Liga, manchmal kommen 15.000 Zuschauer, meistens nicht mal halb so viele. Ich esse eine Bratwurst, setze mich auf die Westtribüne, zwischen meist ältere Herren, von denen ich bei einigen nicht sicher bin, ob sie zwischen den Spielen überhaupt nach Hause gehen, und trinke ein Bier. Ist das Spiel schlecht, was öfter vorkommt, trinke ich noch ein Bier. Ich sitze so nahe dran, dass ich den Rasen riechen kann. Meine kleine Welt, ich bin gerne da. Und so ganz nebenbei ist mir aufgefallen, dass ich so vielleicht den Fußball retten könnte.
Es gibt nämlich noch eine andere Welt. Die ist ab Dienstag wieder zu sehen, in der K.-o.-Runde der Champions League. In ihr spielen Megaclubs, die fast eine Milliarde Umsatz im Jahr machen und Büros in Shanghai, New York und sicher auch bald auf den Lofoten haben. Die reichsten dieser Clubs werden womöglich bald eine eigene Liga gründen, die Super League, um noch reicher zu werden. Was sie dann mit dem vielen Geld machen wollen, ist noch unklar. Sie haben ja jetzt schon die teuersten Spieler, die größten Stadien und die meisten Likes auf Instagram.
Abgesehen von den ästhetischen Vergehen, die mit dem großen Reichtum begangen werden, also den Lichtshows nach Toren oder Helene Fischer zur Halbzeit, ist der Drang zum Geld natürlich kein Verbrechen. Er wird allerdings zum Problem, wenn er anderen etwas nimmt. Dem Fußball zum Beispiel seine wichtigste Eigenschaft: die Unvorhersehbarkeit. Mein Verein hatte sich für ein paar Jahre mal in die Bundesliga verirrt. Er schlug dort sogar den FC Bayern. Zweimal gleich, weil es so schön war. Die Torschützen kann in Cottbus noch jeder im Schlaf aufsagen: Vilmos Sebők, ein schlafmütziger Ungar, Branko Jelić, ein listiger Serbe. Weitere Helden aber kamen seitdem nicht hinzu und werden es wohl auch nicht mehr. In den vergangenen zehn Jahren wurden die reichen Clubs immer reicher, die anderen abgehängt. Der Kader des FC Bayern ist derzeit mehr als 800 Millionen Euro wert, der eines durchschnittlichen Bundesligisten 190, der meines Vereins nicht einmal fünf.
Natürlich hat sich der FC Bayern seinen Erfolg auch erarbeitet. Über viele Jahrzehnte hinweg. Aber die reichsten Clubs haben mit List und Tücke auch ein System geschaffen, das die Verhältnisse zementiert. Durch das unerhört viele Geld, das in den vergangenen Jahren in den Fußball und vor allem auf die Konten der Megaclubs geflossen ist, hat sich eine geschlossene Gesellschaft gebildet. So läuft es im modernen Fußball: Nur wer viel Geld hat, landet ganz oben – und nur wer ganz oben landet, bekommt viel Geld. Das erinnert an den Matthäus-Effekt, also dem aus der Bibel: "Denn wer da hat, dem wird gegeben." Oder wer es etwas weltlicher mag: Fetten Gänsen wird der Arsch geschmiert.
Die Einnahmen der Clubs, die sich für den Europapokal qualifiziert haben, haben sich zwischen 2007 und 2017 nahezu verdreifacht. Vor allem wegen der TV-Gelder. Mittlerweile verteilt die Uefa für die aktuelle Saison mehr als zwei Milliarden Euro an die Teams, die in ihrer Champions League spielen. Der FC Bayern zum Beispiel bekommt allein 48,5 Millionen Euro dafür, dass er dort mitmacht. Einige Bundesligaclubs wären froh über solch einen Saisonetat. Gewinnen die Bayern den Titel, könnten sie bis zu 100 Millionen Euro mit nach Hause nehmen. In einer Super League könnten es angeblich bis zu 500 Millionen pro Club sein.
Ob in England, Spanien, Italien oder Frankreich – dass jemand die nationale Meisterschaft gewinnt, der sich nicht an den Honigtöpfen der Champions League labt, ist so gut wie ausgeschlossen. Der große Rest schaut zu. In den Achtzigern wurde auch mal Werder Bremen Meister, in den Neunzigern der VfB Stuttgart. Roter Stern Belgrad hat mal den Europapokal gewonnen, Ajax Amsterdam auch. Sie alle aber haben den Anschluss verloren, mittlerweile wohl für immer. Aber wie spannend ist Fußball noch, wenn immer dieselben gewinnen?
In einer Umfrage gaben im vorvergangenen Jahr vier von fünf Fans an, dass in der Champions League zu viel Geld an die immer gleichen Vereine verteilt wird. Mehr als die Hälfte hielt die Bundesliga für langweilig. Die kleinen und mittleren Clubs, die unter diesen Verhältnissen leiden, haben nicht genug Macht, sie zu ändern. Die großen Clubs haben die Macht, aber kein Interesse, ihnen geht es ja prächtig. Verbände wie die Uefa lassen sich von Großclubs wie Tuchels Paris Saint-Germain und Guardiolas Manchester City, die konstant gegen Regeln verstoßen, nur frech ins Gesicht lachen. Es bleibt eigentlich nur einer, der etwas ändern kann. Der, der alles in der Hand hat, weil auf seiner Leidenschaft alles beruht: der Fan.
Der Fan ist es nämlich, der die Megaclubs erst reich macht. Deren Vorsprung ist nicht vom Himmel gefallen. Er steckt in jedem Trikot von Real Madrid, das in Malaysia verkauft wird. Er steckt vor allem in jedem Pay-TV-Abo, das irgendwo auf der Welt ein Fußballfan abschließt, um die Champions League zu schauen. Der Reichtum der Megaclubs ist das Ergebnis der Fußballglobalisierung. Durch sie wird in jedem Winkel der Erde dasselbe Dutzend Teams mit denselben Helden gefeiert. Diese Clubs werden dadurch so reich, dass sie sich kleine Weltauswahlen zusammenkaufen konnten. Das Ergebnis ist für Fußballfans ein Traum, weil diese Mannschaften im vergangenen Jahrzehnt wohl den schnellsten, aufregendsten und besten Fußball spielten, den es je zu sehen gab. Und das Schöne am schönen Fußball ist ja, dass er schön ist.
Diese Entwicklung ist aber auch ein Albtraum, weil für viele andere Clubs kaum etwas übrig bleibt. Wenig Aufmerksamkeit, kaum Qualität, noch weniger Geld. Ein klassisches Dilemma: Man schaut gerne guten Fußball, aber jedes Pay-TV-Abo zerstört ein wenig den Wettbewerb. Weil die TV-Gelder so ungerecht verteilt werden, verschiebt jedes Abo Geld und Macht ein wenig mehr in Richtung der Topclubs. Das ist nicht nur schlecht für die Ligen, sondern geht auch zulasten der Vielfalt.
Als ich fünf Jahre alt war, hat mich mein Vater zum ersten Mal mit ins Stadion genommen. Ich saß auf seinem Schoß, auf der gleichen Tribüne wie heute, und staunte. So ähnlich beginnen viele Fanbiografien, die für den Vater nur dann tragisch endeten, wenn sich der Spross für den Gästeverein entschieden hat, weil der Papas Loser gerade 0:3 vom Platz geschossen hatte. Im globalisierten Fußball aber ändert sich dieser klassische Initiationsritus. Kinder werden nicht erst einmal Fan von Kaiserslautern, sondern gleich von Barcelona. Sie können die Tore von Lionel Messi jetzt live auf Sky oder DAZN sehen oder später seine besten Tricks auf YouTube. Und wer sich einmal in Messi verguckt hat, der lässt sich für einen pfälzischen Drittligisten oder einen aufstrebenden Club von den Lofoten womöglich etwas schwerer begeistern.
Das ist schade, weil Fußball ja mehr ist, als das was auf dem Rasen passiert. Fußball ist Kultur, Identität, auch Heimat. Als meine Mannschaft einst in die Bundesliga aufstieg, glaubte ich in den fassungslosen Stadiongesichtern um mich herum auch Stolz zu erkennen. Die Mannschaft siegte nicht nur für sich, sondern auch für uns. Für uns, die wir aus einer Gegend kamen, die viele Sorgen hatte, die beim Fußball aber mal egal waren. Fußball stiftet Zugehörigkeit und Selbstvertrauen, und manchmal auch Würde.
Das hier soll kein Plädoyer für dumpfe Heimattümelei sein. Die Idee, die Welt könnte durch ein Tor von Luka Modrić enger zusammenrücken, weil es global beklatscht wird, ist durchaus eine nette. Und überhaupt soll um Himmels willen niemandem vorgeschrieben werden, wie, wo oder mit welchem Herzen er Fußball zu schauen hat. Wir sind ja ein freies Land. Natürlich kann man die großen Clubs unterstützen und natürlich kann man sich darüber beschweren, dass immer dieselben siegen. Es passt halt nur nicht zusammen.
Wenn jeder seinen Club vor der Haustür unterstützen würde, könnte sich die Lücke zwischen kleineren und großen Vereinen ein Stück weit schließen. Die Kleinen würden wieder konkurrenzfähiger. Wer gar mal wieder bei seinem Dorf- oder Stadtteilclub vorbeischaut, hält diese Vereine vielleicht ja so ganz nebenbei am Leben. Viele nämlich haben Geldprobleme, auch, weil auch der DFB von unten nach oben verteilt.
Wem eine bunte, vielfältige und vor allem unvorhersehbare Fußballwelt am Herzen liegt, der sollte sich um seinen örtlichen Fußballverein kümmern. Dann wäre es besser, der Fan aus China würde sein Geld nicht Real Madrid hinterherwerfen, sondern Shanghai Shenhua. Und dann wäre es auch besser, der Fan aus Schwerin würde kein BVB-Trikot kaufen, sondern eines von Hansa Rostock.
Dabei hat Sport in Deutschland auch gesellschaftliche Funktionen, die er auf kleinster Ebene erfüllen kann: Gesundheit, Identifikation, Integration, Inklusion, Lebenshilfe. Außerdem kann ein Nachmittag in der Kreisliga, wo der Spielmacher in der Pause eine schmökert und die Mutti des Torwarts selbst gebackenen Kuchen verkauft, netter sein als der in einer Arena mit Werbejingles bei jedem Eckball.
Quelle & die letzten beiden Absätze: zeit.deSchön, dass es derartige Ansichten - die man zumeist aus den Kurven kennt - zumindest mal ansatzweise in eine Redaktionsstube einer größeren Zeitung geschafft haben
