Lokomotive Leipzig wachgeküsst: Wie Ex-Viktoria-Coach Jochen Seitz aus einer grauen Maus einen Meister macht
Das Beste kommt zum Schluss. Nach dem Derbysieg seines 1. FC Lokomotive Leipzig bei der BSG Chemie Leipzig kann Lok-Trainer Jochen Seitz die Glückwünsche eines besonderen Menschen entgegennehmen: Seine Frau Anna ist aus Großwallstadt angereist. Jetzt strahlt sie, durch den massiven Zaun von ihrem erfolgreichen Gatten getrennt, mit der sächsischen April-Sonne um die Wette. Familienglück trifft Fußballglück.Der Arbeitstag des in Heimbuchenthal aufgewachsenen Seitz beginnt sechs Stunden zuvor. »Um 10 Uhr war ich auf dem Trainingsgelände zur Spielvorbereitung, inklusive geschriebener Plakate mit dem, was wir taktisch spielen wollen in Stichpunkten zusammengefasst. In der Spielbesprechung um 11.30 Uhr haben wir dann mitgeteilt, wer spielt und welche Taktik es mit und gegen den Ball gibt.« Unter Polizeischutz geht es dann im blau-gelben Teambus vom Stadtteil Probstheida zum in Grün gehaltenen Rivalen nach Leutzsch. Die Fangruppen sind sich nicht grün, die Chemie stimmt nicht zwischen Chemie und Lok. Deshalb stehen Wasserwerfer und rund 600 Einsatzkräfte bereit. Während die Polizisten die Ultras beobachten, beobachtet Jochen Seitz das Aufwärmen seiner Spieler und erzählt von den letzten Momenten vor dem Anpfiff: »Kurz bevor es rausgeht, richten wir noch einmal eher emotionale Worte an die Mannschaft. Heute zum Beispiel, dass wir Historisches erreichen können. Nämlich dreimal innerhalb einer Saison gegen Chemie Leipzig gewinnen.« Im März war die BSG bereits im Pokal besiegt worden, in der Vorrunde ein Sieg im Heimspiel gelungen. Seitz hat die Lokomotive aufs Gleis Richtung Meisterschaft Regionalliga Nordost gesetzt.
Die Stimmung ist beim Einlaufen der Regionalligaspieler erstklassig. Lautstarke Unterstützung und bunte Choreographien, rund 5000 Zuschauer bilden einen fantastischen Derby-Rahmen für ein ostdeutsches Kult-Duell zweier ehemaliger Ost-Erstligisten. Und mittendrin: der Unterfranke Jochen Seitz. Es war Loks Sportdirektor Toni Wachsmuth, der den ehemaligen Cheftrainer von Viktoria Aschaffenburg im Sommer 2024 nach Sachsen gelotst hat und der in dessen Blick von außen einen Vorteil sieht: »Ich glaube, dass es gut ist, einmal völlig losgelöst von Ortsrivalitäten und Derbys alles rational zu sehen. Trotzdem hat er sich sehr mit der Sache identifiziert. Er versteht den Verein, fühlt sich auch in der Stadt Leipzig wohl, was auch wichtig ist.« Zum Wohlgefühl gehört für Seitz derzeit auch der Tabellenstand. Aus einem Tabellenzehnten hat der 48-Jährige einen Spitzenreiter gemacht. Auch weil er vieles von dem, was er bei seinem DFB-Abschluss 2021 zum Fußball-Lehrer gelernt hat, nun einsetzt. Wie etwa die nicht immer bei den Spielern beliebten Überstunden zur Videoanalyse. Auch die Trainingszeiten hat Seitz erweitert und Individualanalysen eingeführt. Sehr zum Gefallen von Wachsmuth: »Jochen bringt mit seinem Trainerteam einen klaren Plan mit, die Spieler wissen genau, was sie bringen müssen. Trotzdem gibt es eine gute Stimmung: Lockerheit einerseits, aber auch forderndes Training. Denn die Spieler müssen schon taktisch einiges umsetzen.«
Wenn sie das nicht tun, wie in den ersten 20 Minuten, wird Seitz laut, fordert etwa besseres Anlaufverhalten an. Er ist jetzt in seinem Element. Dem neuen Element seines Fußballerlebens - als Trainer. Der 162-malige Bundesligaspieler erinnert sich: »Ich habe mir das schon immer gewünscht und schon als Spieler geglaubt, das ordentlich machen zu können. Deshalb fühle ich mich wohl und es gibt nichts zu bemängeln - außer, dass es nach Niederlagen schlaflose Nächte gibt.« Das Vermeiden von Niederlagen lernte er von großen Namen: »Felix Magath und Lorenz Günther Köstner waren sicher in Sachen Disziplin und Fleiß maßgebend, Ralf Rangnick in Sachen Taktik, bei Jupp Heynckes habe ich viel zum Passspiel gelernt - von jedem nimmt man etwas mit. Wer Seitz am Spielfeldrand beobachtet, sieht die Facetten seines Charakters im Doppelpass. Er geht auf jeden in Augenhöhe zu, gibt einem Security-Mitarbeiter genauso die Hand und Aufmerksamkeit, wie er einen Einwechselspieler ernst und eindringlich vorbereitet und zum Schiedsrichter für seine Spieler den Schrei nach Gerechtigkeit über den Platz donnert. Oder wie Wachsmuth zusammenfasst: »Jochen ist ein Mensch, der immer auf seine Mitmenschen zugeht, immer offen und kommunikativ ist. Er ist freundlich und nahbar. Das und seine Bodenständigkeit waren mir auch wichtig. Dazu ist er ambitioniert und will etwas erreichen.«
Erreichen will Seitz als Nächstes die Aufstiegsspiele zur 3. Liga. Und Seitz' Ambitionen leuchten bereits jetzt aus dessen verschmitzten Augen, wenn er auf eine mögliche Karriere in der Bundesliga angesprochen wird: »Da ist noch ein weiter Weg für mich zu gehen. Jetzt heißt es erst einmal, hier weiterhin gute Arbeit zu leisten, so dass der eine oder andere Verein vielleicht aufmerksam wird - und dann: mal schauen!« Djamal Ziane ist in Leipzig geboren, spielt seit 2014 in Probstheida. Er ist der Publikumsliebling der Lok-Fans, seit Jahren ihr Kapitän. Unter Trainer Jochen Seitz hat der 33-jährige Stürmer keinen einfachen Stand. »Ich habe über die Saison nicht so viel gespielt und komme mit ihm dennoch extrem gut aus. Das sagt schon vieles. Ich kann nur Positives über ihn sagen«, so Ziane. »Die Leistungen und die Ergebnisse spiegeln wider, was für ein Trainer er ist. Er hat ein super Händchen für Situationen, ob es Aufstellungen angeht, ob es Taktik angeht, ob es das Zwischenmenschliche angeht.« Durch seine Zeit als Ex-Profi wisse Seitz, »wie er mit Spielern umgehen muss«. Er verstehe und kenne »Situationen und weiß, wie und was er wann sagen muss«. Häufig merke man, dass Seitz selbst Spieler war. »Er lässt uns gewisse Freiheiten und wir haben viel Spaß. Aber wenn es drauf ankommt, müssen wir da sein. Er hat eine sehr gute Mischung aus Freiheit geben und gute Laune, wenn die Leistung stimmt, und haut auch mal dazwischen, wenn es sein muss. So ein bisschen Zuckerbrot und Peitsche.«
Der Kapitän beschreibt seinen Coach als »sehr ehrlichen« Menschen. »Er hat uns von Anfang an einen super Plan mitgegeben, den wir versuchen, bestmöglich umzusetzen, was uns bis jetzt sehr gut gelingt. Er setzt alles dafür ein und verlangt das dann von uns auch und das machen wir. Wir hauen uns mit allem rein, was wir haben, und er haut sich mit allem rein, was er hat.« Seitz sei der Charakter der Mannschaft sehr wichtig, beschreibt Ziane: »Wir haben vor der Saison sehr gute Personalien getätigt, haben einen super Charakter in der Truppe. Darauf legt Jochen viel Wert. Wenn du einen guten Charakter drinnen hast, ist das die halbe Miete.« Die andere Hälfte beschreibt der Angreifer, der in dieser Saison erst 850 Spielminuten absolviert, aber bereits fünf Tore erzielt hat, so: »Jochen hat immer einen sehr guten Plan, wir sind sehr gut auf die Spiele vorbereitet, in Videoanalysen und allem drum und dran.« Dieser Plan könnte aufgehen und Trainer Seitz mit seinem Kapitän Ziane schon bald die Meisterschaft der Regionalliga Nordost feiern.
Tomislav Piplica bestritt 117 Spiele in der Fußball-Bundesliga für Energie Cottbus, wurde dort die meiste Zeit von Eduard Geyer trainiert. Heute arbeitet der Kultkeeper als Torwarttrainer beim 1. FC Lokomotive Leipzig eng mit Chefcoach Jochen Seitz zusammen. »Mit dem Trainerteam funktioniert es sehr gut. Man sieht sofort, dass Jochen ein Profi ist und dass er Erfahrung hat. Man sieht, dass er eine Idee, einen Plan hat. Ich freue mich, dass es sofort funktioniert hat, als er hierhergekommen ist. Für ihn ist es am Anfang auch nicht so einfach gewesen. Ein neues Trainerteam, eine neue Mannschaft und das hat sofort funktioniert. Das hat keiner von uns erwartet«, sagte der 56-Jährige, dessen Sohn Zak Paulo das Lok-Trikot trägt, im Gespräch mit dem Medienhaus Main-Echo. »Jochen ist ein Mann mit vielen Emotionen und sehr viel Feuer. Er zeigt den Jungs, dass es in jedem Spiel wichtig ist, nicht nur in einem Derby, Emotionen zu haben und Gas zu geben. Wenn wir immer auf 100 Prozent unserer Leistung kommen, hat kein Gegner eine Chance gegen uns.« Silvio Schoenke ist als Betreuer schon seit vielen Jahren eng an der Regionalligamannschaft des 1. FC Lokomotive Leipzig und dem Trainerteam dran. Fragt man ihn nach dem derzeitigen Erfolgscoach Jochen Seitz, kommt er regelrecht ins Schwärmen: »Für mich ist Jochen ein sehr, sehr guter Trainer, der wirklich wunderbar durch seine Art und Weise, seine Mentalität, was sicherlich auch seiner Herkunft zu schulden ist, bei uns reinpasst. Er ist für uns wirklich eine sehr große Bereicherung.«
In der Kabine, am Spielfeldrand und auf dem Trainingsplatz ist der 40-Jährige eng an Seitz’ Seite. »Ich arbeite sehr, sehr gern mit ihm zusammen als Mannschaftsleiter und ich kann ihm nur danken, dass er zu uns gekommen ist.« Schoenke, der das Lok-Wappen als Ohrring trägt, ist vom Coach aus Unterfranken begeistert: »Jochen macht aus meiner Sicht einen grandiosen Job, was sich auch im Sportlichen zeigt.«
Quelle --->
https://www.main-echo.de/sport/fussball ... rt-8499619 (
https://archive.ph/kpGUT)